Wir sind im Dialog.

Das Geneon-Gespräch ist ein Format von geneonleadership mit dem Schwerpunkt Führung in Familienunternehmen.

Wir diskutieren mit Führungspersönlichkeiten Ihre Erfahrungen mit Familienunternehmen, Gesellschaftern und Beiräten, strategische Entwicklungen und geben persönliche Einblicke.

Günther H. Oettinger

Ehemaliges Mitglied der Europäischen Kommission, zuständig für Energie, danach Digitale Wirtschaft und Gesellschaft und danach für Haushalt und Personal.

„Warum nicht eine Staatsverschuldung von 203% – davon kann ich nur abraten!“

Günther H. Oettinger, ehemaliger EU-Kommissar spricht u.a. über die Gefahr der geplanten Steuererhöhungen, das gut gemeinte Lieferkettengesetz und mit wem er die härtesten Verhandlungen geführt hat – Tillmann Bettmer hat ihn Mitte September in Frankfurt am Main getroffen.

Das Interview

Seit dem Parteitag der CSU in Nürnberg ist eigentlich klar, dass die CSU und Markus Söder Armin Laschet ohne Einschränkung unterstützen. Und ich erwarte, dass dies so bleibt – vor der Wahl und nach der Wahl. Laschet ist nicht nur der Kandidat der CDU, sondern auch der CSU.

Das ist eine Frage, die von beiden Seiten zu beantworten ist: von denen, die schon Amts- und Mandatsträger sind und von denen, die Bürger, Wähler und Steuerzahler sind. Demokratie ist ja die Interessenvertretung aller Bürger. Und das fängt auf kommunaler Ebene an. Das heißt, wir müssen die Bürger einladen, an Kommunalwahlen, in Parteivorständen vor Ort, bei Bürgerentscheidungen mitzuwirken – denn es geht ja um ihre Interessen. Und so werden wir wieder mehr Bürger an die Arbeit der Parteien heranführen. Umgekehrt müssen wir auch Quereinsteiger und deren Ambitionen akzeptieren, das heißt allein die Ochsentour ist zu wenig. Wer im Beruf und in Familie schon viel gemacht hat, muss mit Mitte 30 oder Mitte 40 die Chance haben, seinen Sachverstand in die politischen Parteien einzubringen – wir müssen Quereinstiege ermöglichen.

Wir müssen Quereinstiege ermöglichen – allein die Ochsentour ist zu wenig.

Der entscheidende Punkt ist doch, von allen Treibhausgas-Emissionen stammen 2% aus Deutschland, 8,5% aus der Europäischen Union, fast 30% aus China, 15% aus USA, 6% aus Indien und 4,5% aus Russland. Wir müssen also Technologien entwickeln, die wir bei uns anwenden und dann darauf hinwirken, dass die Industrie, die Energiewirtschaft, die Mobilität in den großen Emissionsländern das auch erreicht. Und deswegen geht es nicht um Verbote in Deutschland, sondern um Export von Technologien aus deutschen Forschungsinstitutionen und der Industrie.

Man muss ja für alle Schritte der Verteuerung Akzeptanz finden. Macron hat die Gelbwesten am Hals gehabt, weil Benzin und Diesel stark verteuert wurde. Und schon jetzt wird Energie immer teurer. Und durch die nur mäßig geglückte deutsche Energiewende ist der Strompreis in Deutschland weltweit am höchsten. Deswegen kann ich vor derart großen Schritten nur abraten. Politik lebt von Entwicklung, aber auch von Akzeptanz.

Es geht nicht um Verbote in Deutschland, sondern um Export von Technologien aus deutschen Forschungsinitiativen und der Industrie.

Wir haben es ja bei der Infrastruktur nach 1990 in den neuen Ländern erlebt. Es geht nur über ein Infrastrukturbeschleunigungsgesetz. Verkürzung der Zahl der Instanzen, Verkürzung der Anhörungsfristen, Beschleunigung von Verfahren, um zu erreichen, dass die gleiche Generation, die eine Trasse will, diese auch noch einweihen und nutzen kann.

Die weltweiten Emissionen dürfen nicht weiter steigen. Und klar ist: auch China und Russland sind vom Klimawandel betroffen. Waldbrände oder Überschwemmungen und andere Katastrophen sind ja weltweit zu beobachten. Und deswegen müssen wir Glasgow COP26, die große Konferenz im November nutzen, um gerade die großen Länder, die noch immer steigende Emissionen haben, in die Pflicht zu nehmen. Und zwar nicht, in dem wir uns in Deutschland abmühen, um allein bei uns voranzukommen. Hinzukommt, wir müssen auch unsere wirtschaftliche Stärke einsetzen. Europa, der Binnenmarkt ist stark, wir sollten deswegen in Handelsverträgen klarmachen, dass mit uns Import, Export, Wachstum ohne Bereitschaft aller Seiten zum Klimaschutz nicht mehr zu machen ist.

Das Geld wird nicht ewig günstig bleiben. Irgendwann müssen wir wieder zu Realität und Wahrheit zurückkehren. Es kann doch nicht sein, dass der, der Geld gibt, draufzahlt und der, der nimmt, Geld gewinnt. Ich finde die EZB-Politik mittlerweile nicht mehr nachvollziehbar. Jede Generation sollte investieren und konsumieren, was sie erwirtschaftet. Man sollte Aufgaben und Ausgaben an die Einnahmen koppeln. Jetzt haben wir schon in der Euro-Zone 103% Verschuldung des jährlichen GDP – Italien hat 160%. Da kann man die Frage stellen, warum 103%, warum nicht 203%? Davon kann ich nur abraten. Das Vertrauen der Marktteilnehmer in Schulden und in Staatsanleihen ist nicht unbegrenzt. Irgendwann kann es kippen und darauf sollten wir vorbereitet sein, indem wir wieder zu Haushalten zurückkehren, die ohne Schulden auskommen.

Ich finde die EZB-Politik mittlerweile nicht mehr nachvollziehbar. Das Vertrauen der Marktteilnehmer in Schulden und Staatsanleihen ist nicht unbegrenzt.

Die Chance, dass CDU/CSU stärkste Kraft im nächsten deutschen Bundestag werden, ist gegeben. Auch, dass wir den Kanzler stellen, damit es zu einer Jamaika-Koalition mit der FDP kommt. Wer aber jetzt FDP wählt, bekommt im Zweifel die Ampel.

Wenn Olaf Scholz und die SPD es schaffen, stärkste Partei zu werden, dann ist der Weg zur Ampel nicht weit. Dann wird der mediale Druck auf Lindner erheblich steigen.

Wir haben jetzt schon eine hohe Steuerlastquote in Deutschland – für alle Steuerzahler. Und diese weiter zu erhöhen, würde den Standort noch weniger attraktiv machen. Die wichtigsten Vermögen, sind nicht Privatvermögen, sondern Betriebsvermögen. Ich kenne viele Unternehmer, die sehr vermögend sind, weil sie viel Kapital in Gebäuden, in Maschinen oder in Roh- und Halbfertigwaren gebunden haben. Und wenn man die besteuert, dann wird Substanz besteuert und das höhlt die Eigenkapitalquote aus. Wir brauchen eher mehr Eigenkapital als weniger Eigenkapital.

Wenn man die Betriebsvermögen besteuert, höhlst du die Eigenkapitalquote aus.

Nicht im ersten Jahr. Es muss eine Perspektive besprochen werden. Wie kann man, wenn man die nächsten drei Jahre kontinuierlich das Wachstum steigert, Steuersenkungen zusagen. Hinzukommt, wir müssen abwarten, was das Bundesverfassungsgericht entscheidet. Ich vermute stark, dass der Solidaritätszuschlag nur für eine kleine Gruppe von Bürgern, verfassungswidrig ist. Dann müssten wir die Steuern für den Soli schneller senken und abschaffen.

Eine Substanzbesteuerung würde Wachstum schwächen und Investitionen erschweren. Ob das jetzt 6,2% oder 6,0% sind, das weiß ich nicht. Aber dass es das Wachstum eintrüben würde, da bin ich mir ganz sicher.

Wachstum hängt auch von der Demografie ab, aber längst nicht nur. Es hängt von Innovationen, Forschung und Marktmechanismen ab. Wenn wir bereit wären, Handelsabkommen zu genehmigen, die auf dem Tisch des Deutschen Bundestags liegen, hätten wir mehr Wachstum über Exporte. Deshalb denke ich, dass mehr Wachstum möglich wäre und dies wäre auch eine ausreichende Grundlage für genügend Arbeitsplätze, Steuereinnahmen und Beiträge zur Finanzierung unserer Sozialversicherungssysteme.

Wir müssen alle Chancen nutzen. „Mercosur“ beispielsweise – ein Handelsabkommen zwischen der EU und den Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay – könnte beraten und entschieden werden, wird aber blockiert. Oder die ganzen Chancen mit Afrika. Wir sollten China nicht boykottieren, nur wenn man das gut gemeinte deutsche Lieferkettengesetz ernst nimmt, dürften wir eigentlich von China nichts mehr importieren. Wegen nicht vorhandener Religionsfreiheit der Uiguren und nicht vorhandener Menschenrechte. Wir dürften übrigens auch kein Gas und Öl aus Russland importieren. Das heißt, wir sollten realistisch sein, wir brauchen China. Aber China darf nicht der Hauptmotor für Wachstum der deutschen Wirtschaft sein.

Wenn man das gut gemeinte deutsche Lieferkettengesetz ernst nimmt, dürften wir eigentlich von China nichts mehr importieren.

Natürlich, in jeder Hinsicht. Deswegen glaube ich auch, dass eine transatlantische Partnerschaft zwischen USA und Europa gegenüber China geboten ist. China ist der Partner, auch der Wettbewerber, aber primär der systemische Bewerber.

Erheblich, alles andere wäre schlimm. Ich hatte aber auch schon in Stuttgart viele europäische Berührungspunkte durch unsere Exportwirtschaft, durch die Nachbarschaft zu Frankreich und der Schweiz, durch viele Städtepartnerschaften. Ich war auch damals schon alle sechs Wochen in Brüssel. Aber erst in Brüssel und nur in Brüssel erlebt man die europäische Vielfalt, Sprachen, Religionen, Kulturen, wirtschaftliche Unterschiede. Und nur in Brüssel kann man die große Kraft, die eine gestärkte Europäische Union für uns alle haben kann, auch wirklich erleben.

Ich wäre damals als Ministerpräsident von Baden-Württemberg sicher nicht wegen eines Amtes als Bundesminister nach Berlin gewechselt. Aber Deutschland als größtes Land in Brüssel zu vertreten und dort diese unglaubliche kulturelle Vielfalt zu erleben: Menschen, Ihre Geschichten, Ihre Denkweisen von Portugal bis Polen, von Finnland bis Griechenland kennenzulernen, das war toll. Deswegen glaube ich, dass ich schon Glück hatte mit den 10 Jahren in Brüssel – es war für mich eine starke Zeit.

Ich hatte Glück mit den 10 Jahren Brüssel – es war für mich eine starke Zeit.

Barroso war eher ein Preuße, er war zum Teil ziemlich formal und sehr korrekt. Juncker hat große Stärken und ein paar Schwächen. Vielleicht waren die ersten fünf Jahre bei Barroso gut, weil ich da viel Einblicke bekommen habe und auch meine Autorität stärken konnte. Und vielleicht waren die nächsten fünf Jahre mehr Freiheit und unter der großartigen Persönlichkeit von Juncker richtig.

Wir machen oftmals Marktanalysen und Prognosen. Wie kann man einen fairen Wettbewerb gegenüber den wenig verbliebenen Marktteilnehmern (meistens aus China) garantieren? Wir müssen den Martin Herrenknecht gelegentlich einbremsen, weil er trotz seiner bald 80 Jahre noch vor Vitalität sprüht. Und ansonsten sind wir Aufsichtsrat, Beirat und Familie – alles in einem!

Wir müssen den Martin Herrenknecht gelegentlich einbremsen, weil er trotz seiner bald 80 Jahre noch vor Vitalität sprüht.

Er ist Badener, ich bin Württemberger und wir sind beide zu Baden-Württembergern geworden. Wir wissen zu schätzen, was die andere Landesseite durch die Neugliederung an Vorteilen gebracht hat. Er ist ähnlich neugierig, obwohl er doch deutlich älter ist. Und wir trinken beide gerne, nach einem langen Sitzungstag, gemeinsam ein gutes Glas Rotwein.

… mit welchem Politiker haben Sie am härtesten verhandelt?

Mit dem CEO von Gazprom, Alexei Miller bei den Energieverhandlungen zwischen Russland und Ukraine. Hinter Miller stand Putin und mit Miller war Alexander Nowak, der Energieminister am Tisch. Das waren die härtesten Verhandlungen, weil die Sorge eines neuen Energiekonfliktes groß war.

… wie viel % Wahrheit steckt in dieser These: Laschet ist Kanzlerkandidat geworden, damit die CDU kein Anhängsel von Söder wird und es in Deutschland nicht eine vergleichbare „Liste Kurz“ (wie in Österreich) gibt?

30%.

… vor 4 Jahren gab es den „Schulz-Zug“, der aber schnell wieder gebremst wurde – was hat Olaf Scholz bzw. die SPD diesmal anders gemacht?

Olaf Scholz ist enorm selbstkontrolliert – fast wie ein Roboter. Das sage ich mit Respekt, aber da ich so nicht sein könnte, auch mit gewisser Kritik. Er kontrolliert sich und jede Aussage nahezu perfekt. Deswegen kann man von ihm auch nicht wirklich die Emotionen und Beweggründe erfahren, aber man hat Respekt davor, wie er agiert und argumentiert.

… Unternehmen behaupten sich im Markt durch Alleinstellungsmerkmale. In den 16 Jahren unter Angela Merkel sind die Unterschiede der Parteien spürbar geringer geworden. Was ist das (positive) Alleinstellungsmerkmal von Armin Laschet in einem Satz?

Armin Laschet kann die Balance zwischen Industrie und Klimaschutz und er ist sich bewusst, dass Deutschland eine durchgreifende Modernisierung, gerade auch in der Verwaltung benötigt.

… wen haben nach dem 26. September in Berlin jetzt noch Wenige auf dem Zettel – was ist Ihr Tipp?

Ich würde für Baden-Württemberg sagen: Andreas Jung, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende, der bei Laschet im Team und im Wahlkreis Konstanz zu Hause ist.

Herr Oettinger, herzlichen Dank für Ihre Zeit und das interessante Gespräch.

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2023-01-27T10:38:54+01:00
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